Die Cottage-Servitut
Die Cottage-Servitut ist eine besondere Art einer Grunddienstbarkeit, die in den Jahren 1873 bis etwa 1930 beim jeweils ersten Erwerb einer neu parzellierten Liegenschaft im Cottage-Gebiet ins Grundbuch eingetragen wurde. Als Ordnungskraft für ein größeres, gesamthaft geplantes Siedlungsgebiet bedeutet sie zugleich eine Verpflichtung wie eine Berechtigung von bzw. gegenüber allen benachbarten Liegenschaften und deren Eigentümern und stellt einen ersten Ansatz für eine Bauordnung und einen Ensembleschutz dar, der dem Erwerber der Liegenschaft die zugesagte Gartenstadt-Umgebung dauerhaft sichern soll.
Elemente der Cottage-Servitut sind zwar in die öffentlich-rechtliche Wiener Bauordnung von 1930 eingeflossen, doch hat diese die Servitutslösung nicht obsolet gemacht. Die Cottage-Servitut ist nach wie vor privatrechtlich neben der öffentlich-rechtlichen Wiener Bauordnung rechtswirksam und zu beachten.
Die Cottage-Servitut verkörpert die freiwillige Verpflichtung des Eigentümers der „dienenden“ Liegenschaft zu einer Unterlassung, nämlich nicht über die in der Servitut näher beschriebenen Einschränkungen hinaus baulich tätig zu werden. Dem steht das dingliche Recht der Eigentümer aller „herrschenden“ Liegenschaften (bzw. der Institutionen, die deren Rechte wahren sollen) gegenüber, diese Unterlassung (allenfalls im Klageweg) einzufordern. Dies im Sinn der gegenseitigen Rücksichtnahme und für das gemeinsame höhere Ziel, ein Gartenstadt-Ensemble zu schaffen und dessen Charakter nachhaltig sicherzustellen. Kurz gesprochen, die Cottage-Servitut stellt eine freiwillige, privatrechtlich vereinbarte Beschränkung des Eigentumsrechts dar, in Unterwerfung für ein gemeinsames Ziel und auf reziproker Basis. Die Verpflichtung ist mit dem Grundstück verbunden und geht, da sie verbüchert ist, auch auf nachfolgende Eigentümer des Grundstücks über. Sie ist in den Grundbüchern von Währing und Döbling rund 650mal auf Cottage-Liegenschaften eingetragen.
Die Cottage-Servitut wurde ursprünglich jeweils zugunsten aller umliegenden Liegenschaften mit gegenseitiger Wirkung intabuliert. Das heißt, der Verpflichtung stehen gleiche Rechte gegen verpflichtete Nachbarn gegenüber. Später wurde diese Servitut-Verpflichtung anstatt zugunsten der Nachbarn gegenüber dem Wiener Cottage Verein und/oder den Gemeinden Währing oder Döbling vereinbart. Diese Institutionen sollten als quasi zentrale „Treuhänder“ für Liegenschaftsbesitzer im Cottage, die diesen zugedachten Servitutsrechte wahren. Die zugunsten der Gemeinden Währing und Döbling errichteten Servitutsrechte sind 1892 im Zuge der Eingemeindung der Vorstädte auf die Stadt Wien übergegangen. Heute ist der Wiener Cottage Verein der wesentliche Protektor der Cottage-Servitut für jene servitutsberechtigten Liegenschaftseigentümer und Mitglieder des Wiener Cottage Vereins, denen der nachhaltige Charakter des Gartenstadtviertels Cottage ein Anliegen ist.
Eine Baugenehmigung auf Basis der derzeit geltenden öffentlich-rechtlichen Bauordnung kann bei Bestehen einer Cottage-Servitut durch diese zivilrechtlich eingeschränkt sein. Die erteilte Baubewilligung ist eine öffentlich-rechtliche Zulässigkeitserklärung, welche die Verpflichtungen aus der zivilrechtlichen Cottage-Servitut keinesfalls außer Kraft setzt.
Unterschiedliche Ergebnisse aus einem öffentlich-rechtlichen Baubewilligungsverfahren und den relevanten Bestimmungen der privatrechtlichen Cottage-Servitut für eine Liegenschaft können sich bedauerlicherweise dadurch ergeben, dass sich die Entscheidungsgrundlage für den öffentlich-rechtlichen Sektor im Lauf der Zeit von der Fassung der Bauordnung 1930, die damals kompatibel mit der Cottage Servitut war, durch viele, von verschiedenen Interessen geleiteten Novellierungen wegentwickelt hat. Die Cottage Servitut andererseits steht unverändert für den ursprünglichen Parteienwillen und die gegenseitig zugesicherte Aufrechterhaltung des Gartenstadtcharakters gemäß den Vorgaben des Wiener Cottage Vereins. Der Zweck und das Ziel der Cottage-Servitut haben sich in keiner Weise verändert und die Servitut gibt damit unverfälscht die ursprünglichen (und rechtlich verbindlichen!) Vorgaben des Ensembleschutzes im Cottage-Gebiet wieder.
Eine umfassende Darstellung, Erklärung und rechtliche Interpretation der Cottage Servitut finden Sie in den betreffenden ausführlichen Kapiteln von Dr. Walter H. Rechberger, Professor emeritus der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, und Dr. Erich Stöger, Präsident des Wiener Cottage Vereins, im Jubiläumsband „Das Wiener Cottage – Der Traum vom gesunden Wohnen“ (ISBN 978-3-200-08196-3).
Das Folgende bietet einen beispielhaften Überblick über leicht variierende Formulierungen der Cottage Servitut, wie sie (neben Kaufvertragsbedingungen sowie Vorgaben und Statuten des Wiener Cottage Vereins) zu verschiedenen Zeitpunkten im Grundbuch eingetragen wurden; in der Sache gleichbleibend aber mit den Jahren textlich präziser:
I. 1873 bis 1883 (gegenseitig verpflichtend)
Die Verpflichtung, keine Bauten aufzuführen, welche auch nur einem der übrigen Cottage-Besitzer die freie Aussicht, das Licht und den Genuss frischer Luft benehmen würde;
die Pflicht, keinerlei Gewerbe auf dieser Realität zu betreiben, oder durch andere betreiben zu lassen, welche vermöge der Erzeugung von Dünsten oder üblen Gerüchen, vermöge des damit verbundenen Lärmes oder der möglichen Feuersgefahr die Nachbarn belästigen würde.
II. 1884 (dienend und herrschend)
Auf der erkauften Grundfläche, außer dem im Einverständnisse mit dem Wiener Cottage Verein zu erbauenden Familienhaus, in Hinkunft kein weiteres Gebäude aufzuführen und ebenso wenig je einen Umbau, Zubau oder Neubau an diesem Familienhause herzustellen, welcher mit der Eigenart der Baulichkeiten, wie sie bis jetzt vom Wiener Cottage Verein aufgeführt wurden, im Widerspruch steht; in keinem Falle bei einem Umbau oder Zubau näher als auf 2 Meter an die Grenze des Nachbarn zu rücken, oder das Haus nach irgendeiner Seite mit einer Feuermauer abzuschließen; dass in einem Streitfalle die ausschließliche schiedsgerichtliche Entscheidung dem Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereine in Wien zusteht.
Keinerlei Gewerbe auf dieser Realität zu betreiben oder durch andere betreiben zu lassen, welche vermöge der Erzeugung von Dünsten oder üblen Gerüchen, vermöge des damit verbundenen Lärmes und der möglichen Feuersgefahr die Nachbarn belästigen würde.
III. 1884, Konsortial-Gründe (zugunsten der Gemeinde Ober-Döbling)
Dass auf dieser Realität in Ober-Döbling nur Häuser im Cottagestyle mit nicht mehr als 2 Stockwerken aufgeführt und dass nicht mehr als 2 Häuser aneinander gebaut werden dürfen, dass jede freie Seite dieser Häuser facadiert sein muss, dass jedes dieser Häuser samt den Nebenbaulichkeiten von der Nachbargrenze wenigsten 2,50 Meter entfernt sein muss, und dass dieser Vorgarten an der Baulinie mit einem Stacketengitter abgeschlossen sein muss, dass auf keiner dieser Realitäten und in keinem der darauf zu erbauenden Häuser ein durch üblen Geruch, Lärm oder Feuersgefahr die Nachbarn belästigendes Gewerbe je betrieben werden darf.
IV. 1891, Kuffner Gründe (zugunsten Wiener Cottage Verein)
Dass auf je einer dieser Realitäten in Ober-Döbling nur je ein Gebäude im Cottage-Style mit nicht mehr als 2 Stockwerken aufgeführt, dass nicht mehr als 2 Häuser aneinander gebaut werden dürfen, dass jedes dieser Häuser samt den Nebenbaulichkeiten von der Nachbargrenze wenigstens 2 Meter entfernt sein muss, welche Entfernung auch bei Um-, Zu- oder Neubauten einzuhalten ist; dass jedes dieser Häuser einen unverbauten Vorgarten haben muss, dass auf keiner dieser Realitäten und in keinem darauf zu erbauenden Haus, ein durch üblen Geruch, Lärm oder Feuersgefahr die Nachbarn belästigendes Gewerbe je betrieben werden darf, und dass endlich in einem Streitfalle dem Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Verein die ausschließliche schiedsrichterliche Entscheidung zusteht.